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01. Februar 2021 Florian Kappert
Credit Management für Credit Manager 33 Min.Der Podcast wurde aus terminlichen Gründen bereits im Dezember 2020 aufgezeichnet.
Was hat sich in den letzten Jahrzehnten im Credit Management verändert? Welche Credit Management Aufgaben haben sich gewandelt? Wie können sich Unternehmen in dieser komplexen und unsicheren Welt am besten aufstellen? Worauf kommt es an?
Florian Kappert:
Herzlich willkommen zur Episode Nr. 4 unseres Risk-Different-Podcasts - den Podcast für Finanzverantwortliche, Credit Manager und für alle, die sich mit Themen rund um die Effizienzsteigerung im Finanzbereich befassen.
Heute geht es um das Thema Credit Management im Wandel. Wir wollen darüber sprechen, vor welchen Herausforderungen Unternehmen heute stehen und wie diese Unternehmen die immer komplexer werdende Welt in saubere Prozesse abbilden.
Wir nehmen euch mit auf eine kleine Zeitreise und wollen wissen, worauf kommt es denn heute an?
Darüber reden wir mit unserem Gast Rudolf Keßler, langjähriger Leiter des Corporate Credit Managements bei der Baywa und Präsident des Bundesverbands Credit Management (BvCM).
Hallo Herr Keßler!
Rudolf Keßler:
Hallo Herr Kappert, guten Abend!
Florian Kappert:
Freut mich, dass Sie da sind. Ich fang jetzt einfach mal ganz salopp so an. Anfang des Jahres hätten wir alle nicht gedacht, was dieses Jahr alles passiert.
Da vielleicht gleich zu Beginn eine kleine Anekdote: Wir bei uns haben immer so fast spaßeshalber gesagt: "Mensch, das Risikobewusstsein in Deutschland ist gar nicht so groß. So eine globale Pandemie, das würde wirklich helfen." Damit wollten wir natürlich nicht zum Ausdruck bringen, dass wir uns die Situation gewünscht hätten. Aber wir haben natürlich irgendwie immer an das Thema Risikobewusstsein gedacht, und wir kommen eben aus einer Zeit, gefühlt, wo das Risikobewusstsein anders war als dieses Jahr. Und da würde mich interessieren: Wie haben Sie das wahrgenommen? Was ist dieses Jahr alles passiert?
Rudolf Keßler:
Ja, also mir ging es letztlich wie Ihnen. Ich habe erst ungläubig auf die Entwicklung gesehen und gehört, was da passiert. Und habe mir die Frage gestellt, was bedeutet das für das Thema Risiko und Kreditmanagement in den Unternehmen. Und über die Funktionen des BvCM und über die Kontakte, die ich ansonsten so habe, habe ich dann mitbekommen, dass in der Tat sehr schnell und sehr viele Unternehmen mit ihren Kunden Sorgen hatten, die sie vorher nicht kannten in dieser Form.
Vorher gab´s mal nen Kunden, der langsam bezahlt hat oder es gab mal nen Kunden, der auch bis zum gerichtlichen Verfahren gehen musste. Aber plötzlich waren ganze Branchen betroffen. Und zwar unverschuldet, wie man so schön sagt. Das heißt, das kam für alle ja doch sehr überraschend und man musste nun eine Lösung finden für Dinge, für die es vorher noch kein Beispiel gegeben hat.
Das war so für mich die allergrößte Herausforderung. Der Grundprozess ist gleich geblieben: Der Kunde nimmt Leistung in Anspruch und zahlt oder zahlt nicht. Aber es war eben von der Herangehensweise doch eine völlig neue Aufgabe, mit der alle Damen und Herren fertig werden mussten, die mit dem Risk-Thema, mit dem Credit-Management-Thema zu tun haben.
Florian Kappert:
Wie sehen Sie da die Rolle der, ich sag mal, "Informationsgeber" in der Branche? Ob das jetzt irgendwie die Presse ist oder im spezifischsten Fall eine Auskunftei, die einem Informationen zur Verfügung stellt, weil, das mussten ja alle lernen, jetzt mit dieser neuen Situation umzugehen.
Was hat sich da getan?
Rudolf Keßler:
Ja, in der Presse ging´s dann eher so um die Themen, die Corona für alle wirtschaftlich mit sich bringt, und die Branchen, die halt besonders betroffen sind. Da konnte man sicher wenig für das reine Fachthema rausnehmen.
Für die Auskunfteien war es sicher schwierig. Wie sollen sie jetzt plötzlich eine Branche wie Taxiunternehmen bewerten? Sollen sie jetzt alle Taxiunternehmen plötzlich quasi von ihrem bisherigen Bonitätswert auf 600 runtersetzen, oder wie geht man damit um?
Und es ist ja klar, wie auch bei früheren Krisen: Es gibt in jeder Krise auch Unternehmen, die damit besser zurechtkommen, und es gibt Unternehmen, die weniger gut zurechtkommen; die sich schneller anpassen können, die sich weniger schnell anpassen können. Und deswegen denke ich, dass es für die Auskunfteien, wie auch übrigens für die Kreditversicherungsunternehmen, überhaupt nicht einfach gewesen ist, da mal einen Punkt zu finden, zu sagen: Wie gehen wir jetzt bewertungstechnisch an das Thema heran?
Und die Kolleginnen und Kollegen, die aktiv im Credit-Management-Geschehen stehen, haben das auch bemerkt. Also es gab dann schon durchaus Bedarf, mit den Auskunfteien zu kommunizieren und das Ganze dann zu verstehen: Was passiert jetzt eigentlich an der Stelle?
Florian Kappert:
Wie hat sich das im Jahresverlauf dann entwickelt? Also wir haben von unserer Seite aus - wir sind ja eigentlich eher Zaungast - die Situation verfolgt und festgestellt: Die Auskunfteien hatten zunächst mal natürlich auch Schwierigkeiten, auch vertrieblicher Natur, weil das Vertrauen in das Produkt irgendwie eingebrochen ist im Frühjahr des Jahres. Und dann haben die Unternehmen trotzdem wieder sehr schnell gemerkt haben: "Naja, ohne die Produkte geht’s auch nicht, wir brauchen irgendwoher eine Information."
Wie haben Sie das wahrgenommen? Wie haben die Auskunfteien da an ihrer Bewertungslogik etwas gemacht und welche Alternativen hatten vielleicht auch Unternehmen, vielleicht selbst zu bewerten, wie das Risiko ist?
Rudolf Keßler:
Genau das ist eine sehr gute Frage. Die ist auch nicht so einfach zu beantworten, weil ja auch die Auskunftei-Unternehmen unterschiedlich an die Themen der Bewertung herangehen.
Ich denke, wir wollen hier jetzt auch keine speziellen Namen nennen, aber es gibt ja Unterschiede, wie Informationen eingesammelt und aufbereitet werden. Ich formuliere mal allgemein, wie es mir gerade einfällt und ich überspitz es mal so.
Wenn ein Unternehmen Auskünfte rein elektronisch aufbereitet, dann ist vermutlich erstmal gar nichts passiert, weil durch die Schutzverfahren, die durch die Regierung eingesetzt worden sind, durch die Rettungsschirmverfahren, hat sich ja zunächst mal kaum etwas gezeigt, was elektronisch verwertbar gewesen ist. Wenn Informationen zusätzlich durch Recherchen und andere Dinge angereichert werden, dann konnte man sicher differenzierter herangehen an das Thema und ich glaube nicht - wissen tue ich es natürlich auch nicht - ich glaube aber nicht, dass die Bewertungslogik an sich geändert worden ist. Eher dann eben die Bewertung des einzelnen Unternehmens und dann vielleicht eine Einstufung etwas niedriger als es bisher der Fall gewesen ist.
So ist es jedenfalls bei mir angekommen, indirekt über die Kontakte, die ich mit Kollegen und Kolleginnen aus dem Credit Management habe.
Florian Kappert:
Ja verstanden!
Rudolf Keßler:
Aber ich habe eine Gegenfrage, Herr Kappert, ich mein, Sie sind nur am Rand, aber in Wirklichkeit mitten dabei mit Risikomanagement-Themen, die Sie elektronisch umsetzen. Was ist dann da bei Ihnen angekommen? Ist da mehr verlangt worden von Kunden oder potenziellen Kunden? Haben Sie gemerkt, dass da mehr Nachfrage gekommen ist oder ist im Gegenteil die Nachfrage sogar eingebrochen, weil man gesagt hat: "Das bringt uns jetzt nichts." Wie ist es da gelaufen?
Florian Kappert:
Wir haben auf jeden Fall gemerkt, dass das Thema Risikobewusstsein gestiegen ist.
Die Leute haben plötzlich mit Dingen zu tun, mit den sie nie zu tun hatten. Ein Immobilienverwalter hat plötzlich bei seinen Gewerbeimmobilien Ausfälle, was er in den letzten 10 Jahren gar nicht kannte, diesen Prozess, und musste sich plötzlich mit solchen Themen befassen. Natürlich hat branchenübergreifend der Lockdown dann im Frühjahr auch die Unternehmen vor ganz neue Herausforderungen gestellt, weil plötzlich irgendwie die Mitarbeiter entschwunden sind und die IT-Infrastruktur sich schlicht und ergreifend ändern musste und dann bezogen auf das, was wir gerade besprochen haben, also die Aktualität der Daten.
Im Prinzip mussten wir feststellen, dass die Kunden sich eine agilere Lösung gewünscht hätten … also ihre eigenen Prozesse agiler auf die neue Situation anzupassen ... und das ist ein Trend der eigentlich nicht aufgehört hat.
Also die Unternehmen, mit denen wir reden, sind da durchaus sehr interessiert daran, selbst Herr der Lage zu sein und sich nicht so sehr auf den Markt oder was auch immer zu verlassen.
Und um das eben hinzubekommen, brauchen sie eine agile Lösung und nicht erst ein monatelanges IT-Projekt. Und so sind sie eben oft auf uns gestoßen und so mussten wir auch feststellen, dass entsprechend diese Unternehmen öfter auf uns zugekommen sind, und mit einer modernen Technik und einer modernen Technologie sich eher zutrauen, in der Zukunft diese die Herausforderungen zu meistern. Und da ist bei uns auch das Thema "agiles Credit Management" irgendwie hängen geblieben.
Also wie finden Sie das? Was klingelt da bei Ihnen, wenn Sie hören "agiles Credit Management"?
Was mache ich da für einen Erwartungshorizont auf?
Rudolf Keßler:
Da klingelt ganz viel und das freut mich auch, so wie Sie es formuliert haben, dass den Unternehmen diese Gedanken gekommen sind oder den Unternehmensleitungen: "Lass uns doch selber Herr der Sache bleiben, lass uns doch um Gottes Willen nicht nur abhängig sein von von Fremdinformationen. Lass uns das Ganze Ding selbst steuern, auf gut deutsch, selbst managen. So wie es uns ja auch gut tut."
Es ist ja nicht nur, dass die Risiken sich verändert haben, weil mögliche Kunden in einer schwierigen Branche arbeiten. Es geht ja auch darum, dass das Geschäft dann womöglich stark eingebrochen ist, also die Chancen-Seite hat ja auch vielleicht sogar die größere Rolle gespielt bei dem ein oder anderen Unternehmen.
Und insofern begrüße ich das sehr, wenn hier ein Sinneswandel eintritt in Richtung: Ich verlasse mich auch nicht nur auf die Fremdinformation von einer noch so tollen Auskunftei, mit einer Bewertung, die noch so toll sein könnte, sondern ich nutze einfach zusätzliche, vor allem auch interne Informationen von Vertrieb, aus der Buchhaltung, whatever ... und bewerte damit meine Kunden so eindeutig, dass ich selber entscheiden kann, wo ich noch liefere, wo ich nicht mehr liefere, wo ich Sicherungsmaßnahmen einziehe und was auch sonst an Entscheidungen möglich ist.
Und deswegen denke ich auch, dass die Frage, die Nachfrage nach eleganten, technischen Lösungen, und ich benutze ganz bewusst das Wort elegant, also es geht nicht darum, dass man möglicherweise einen riesen "Software-IT-Hype" sich aufbauen muss. Das würde auch gerade in kleinen Unternehmen eher schwierig sein. Sondern ich denke, dass es darum geht, für die Idee, die ich mein Unternehmen habe: Wie will ich meine Kunden selber besser bewerten, eine smarte Software finde, die mich dabei unterstützt, damit ich nicht an der Stelle Manpower aufbauen muss oder einfach mit der Arbeit nicht nachkomme, sondern einfach von der Maschine mit den Dingen gestützt werde, die ich mir vorstelle.
Ich greife mal zurück in die Vergangenheit, Sie hatten das ja vorhin angeschnitten, bisschen Historie. Aufgrund der großen Kundenzahl, die wir in unserem Haus betreuen, mussten schon vor 25 Jahren, war es mir von Anfang an wichtig, eben eine eigene Bewertung der Kunden zu kriegen, also eigene Bonitätsbewertung, eigene Scorekarte, die Dinge so einzubauen, wie es für unser Unternehmen richtig ist, damit der Vertrieb sein Geschäft machen kann.
Das war für mich immer das Wichtigste. Kreditmanagement muss so arbeiten natürlich, dass das Geld ankommt, keine Frage, das ist die Grundidee, sondern muss so arbeiten, dass der Vertrieb das Geschäft machen kann, ohne permanent Hemmschwellen zu kriegen oder permanent jeden Tag nach Aufträgen fragen zu müssen, die er durchführen darf oder nicht.
Und wenn dieser Weg jetzt auf breiter Basis gewinnen sollte, dann hat diese Corona-Geschichte auch was richtig Gutes an der Stelle.
Florian Kappert:
Ja, also wir sehen dann schon eine massive Bewegung in Richtung einer - ja ein Thema, was jetzt keiner mehr hören kann eigentlich - Digitalisierung. Ich meine, das war das Thema der letzten Jahre und alle haben von Digitalisierung gesprochen, aber was Digitalisierung bedeuten kann, haben die Leute definitiv dieses Jahr erfahren und das hat am Ende dann natürlich auch was mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun. Weil genau so, wie Sie es gesagt haben, sehen wir es auch:
Die meisten Unternehmen stehen in einer Wettbewerbssituation, und in so schwierigen Zeiten wie jetzt gibt es halt Chancen und Risiken, und wer kein Risiko eingeht und keine Chancen nutzt, der wird wahrscheinlich auch nicht wachsen und die Leute, die einen guten digitalen, adaptiven, agilen Prozess haben, waren - so ist unser Eindruck - öfter in der Lage, die Chancen zu nutzen, Risiken für sich anders zu bewerten und am Ende dafür zu sorgen, dass das Unternehmen wächst, obwohl eine Krise herrscht.
Und wir sehen das gerade in Branchen, wo es große Konsolidierungsbewegungen gibt. Da gibt es auf der einen Seite die Krise und auf der anderen Seite schrumpft der Markt irgendwie in sich zusammen und der eine übernimmt den anderen, die Großen schlucken die Kleinen. Wer kann am schnellsten Marktanteile durch Zukäufe beispielsweise realisieren. Und oft haben wir festgestellt, dass im Finanzbereich diese Prozesse scheitern, weil die Unternehmen sich nicht zutrauen, diese Zukäufe schnell genug aufzugleisen. Sie sagen: "Da haben wir jetzt ein heilloses Durcheinander. Wir haben 10.000 neue Debitoren, bis wir das alles geregelt haben, da machen wir mal lieber ein bisschen langsamer." Und dabei hilft natürlich ein agiler, adaptiver Prozess schon massiv.
Rudolf Keßler:
Ja, unbedingt. Das Beispiel, das Sie eben zitiert haben, Unternehmenskäufe waren noch nie einfach, weil bei allen Due-Diligence-Geschichten, die auch immer gemacht werden oder gemacht worden sind, die letzte Wahrheit oder diese Weisheit hat sich dann in der Regel erst im Nachhinein herausgestellt.
Aber natürlich gab es und gibt es jetzt viel stärkere, viel bessere Möglichkeiten, so ein Portfolio von einem Unternehmen, das ich übernehmen möchte, technisch checken zu lassen. Das ist jetzt auch nicht so schwierig, denke ich mal, ich bin zwar technisch immer noch ein Laie, was die Themen angeht, aber ich kann mir vorstellen, dass das eine der leichteren Aufgaben ist, sodass ich an der Stelle schon mal erkennen kann: Wird es denn schwierig werden, das Thema in meine Prozesse zu integrieren? Soll ich das überhaupt gleich tun am Anfang oder soll ich nicht einfach zwar übernehmen, aber die Prozesse mal laufen lassen und zwar langsam, aber im Hintergrund anpassen und wenn dann die Dinge so sind, dass sie gut zusammenpassen, dann erst quasi die Prozesse fusionieren?
Also da gibt's verschiedenste Möglichkeiten, und wenn da die Technik mir helfen kann, ist das natürlich ein großer Gewinn, im Vergleich zu dem, was man früher an Möglichkeiten hatte.
Niemand war in der Lage, also ich habe das selbst am eigenen Leib auch erlebt, Unternehmen mit 10.000 Kunden zu übernehmen. Wer soll 10.000 Kundenkonten tatsächlich bis in das letzte Detail kontrollieren? Da lässt sich die Kundenbeziehung trotz Due Diligence nicht zu 100% durchblicken, um die Frage zu beantworten, warum der Kunde nicht zahlt.
Das sind alles Dinge, die sich dann erst im Nachhinein herausstellen. Also ja, das ist ein Punkt, der wichtig ist.
Aber ich sehe noch ein anderes Thema und da würde mich auch interessieren, ob das bei Ihnen auch aufgeschlagen ist: Es gibt ja nicht nur jetzt die Möglichkeit, Großer frisst Kleine, es gibt auch die tolle Möglichkeit, die ich auch gesehen habe teilweise, dass man innovativ sein Geschäftsmodell überdenkt, und wenn man vorher, ich spiel mal ganz heftig, Hosenträger produziert hat, die derzeit nicht gefragt sind, dann macht man halt vielleicht statt Hosenträger Gürtel, also einfach von der Produktseite her einfach kucken, wo ist denn der Markt vielleicht für mich dann noch zugänglich?
Oder wenn ich gerade keine Hemden verkaufen kann, verkaufe ich Masken auf der Herstellerseite?
Florian Kappert:
Vielleicht ja.
Rudolf Keßler:
Und die Masken sind gar nicht so schlecht, also von daher ... Da gibt es auch Möglichkeiten. Und auch da könnte ich mir eine IT-Unterstützung gut vorstellen, bei der Frage, welche Märkte könnten denn für mich interessant sein, wie ist da die Wettbewerbssituation, wie ist da die Gesamtsituation in diesem Bereich?
Florian Kappert:
Ist natürlich eine große Herausforderung für die Unternehmen. Weil immer, wenn ein Unternehmen seinen eigentlichen Sektor verlässt, dann in einen neuen Sektor eintritt, fehlt natürlich die Erfahrung, die grundsätzliche Erfahrung, ein Gefühl für das dortige Risiko. Und dabei kann natürlich sowohl eine externe Erfahrung helfen und später dann auch, wenn man sie dann aufgebaut hat und man in der Lage dazu ist, sie auszuwerten, auch eine interne Erfahrung, um diese Risiken zu bewerten.
Da hatten wir zugegebenermaßen zu Beginn des Jahres schon ein großes Thema, weil natürlich die Zahlungserfahrungen, die unsere Kunden über ihre eigenen Debitoren sammeln, ein Stück weit auch in den ersten Wochen nicht wirklich zu gebrauchen waren. Weil, das waren die Zahlungserfahrungen vor dem Tag 0, sage ich jetzt mal, und auch eine Zahlungserfahrungen muss ich erst wieder aufbauen, und da finde ich es ganz interessant zu beobachten, wie schnell lässt sich ein Risikomodell auch umstellen?
Also brauche ich 12 Monate alte Zahlen? Dann wären jetzt immer noch quasi falsche Daten im Modell. Oder kann ich ein Modell kurzfristig, auch ohne große IT-Aufwände so anpassen, dass es einer neuen Situation schneller gerecht wird?
Rudolf Keßler:
Ja, das ist ein schwieriges Thema. Interessanterweise gab es ja sicher auch die Situation, dass ich überhaupt keine neuen Zahlungsinformationen bekommen habe, weil ich einfach nichts verkaufen konnte zum Beispiel. Da helfen mit die anderen Zahlungserfahrungen ab dem Tag 0, auch wenn sie noch so gut gewesen sind, noch so elegant in die Berechnung hineingelaufen sind - und da bin ich voll bei Ihnen - da muss ein Risikomanager, ein Credit Manager, ein Unternehmer, wer immer verantwortlich die Dinge steuert, ganz neue Gedankengänge angehen.
Wie wichtig ist der Kunde für mich? Wird der möglicherweise, wenn diese Pandemie-Geschichte mal rum ist, noch existieren? Würde er möglicherweise nicht mehr existierenden? Wo mache ich das fest, an welchen Dingen mache ich das fest?
Florian Kappert:
Aber wie geht man damit um? Also was kann ein Unternehmen jetzt konkret tun?
Die Zahlungserfahrungen - die eigenen - sind nicht da. Die Auskunftei-Informationen sind auch vielleicht nicht ganz aktuell und die Kreditversicherung gibt mir vielleicht kein Limit oder ich krieg gar keine Kreditversicherung so schnell für diese Debitoren. Was mache ich?
Rudolf Keßler:
Also auf Norddeutsch kommunizieren, sie würden auf gut Fränkisch miteinander reden, das heißt, man kann natürlich in der Realität nicht mit jedem Kunden, wenn man mehr als zehn Kunden hat, nicht mit jedem Kunden wirklich intensive Gespräche führen. Aber ich denke, man muss hier und kann hier priorisieren: Welcher Kunde hatte für mich Bedeutung und wird auch künftig mal wieder Bedeutung haben? Wen möchte ich da an der Stelle halten? Wie auch immer, da muss ich Gespräche führen.
Da muss ich vielleicht auch, was auch passiert ist, mal unabhängig aller Anfechtungsfragen in einem künftigen Insolvenzfall beim Kunden eine Stundung dulden, die über das normale Maß hinausgeht. Voraussetzung, ich halte es selber aus finanziell … die wichtigste Voraussetzung.
Vielleicht kann ich die zusätzlich absichern, unabhängig von der Frage einer Warenkreditversicherung. Solche Gespräche waren ja auch vor Corona extrem wichtig, mit den relevanten Kunden, wenn ein Kunde, der wichtig ist für das Unternehmen, mal in Schwierigkeiten gekommen ist, dann hat man ja schon immer versucht, ihn irgendwie an der Stange zu halten und nicht einfach die Schuhe vor die Tür zu stellen und den rauszuschmeißen nach dem Motto "Maschine sagt, der Kunde zahlt jetzt schlecht, den schmeiße ich raus." Das ist nicht unternehmerisches Handeln, das wäre einfach Automatismus, und zwar ohne Intelligenz, und deswegen gibt's an der Stelle, jedenfalls bislang, immer noch den Menschen, der an der Stelle besser entscheiden kann.
Also ich muss in dem Fall mit den Kunden reden. Ich muss versuchen, über die Kenntnis des Kunden, über das Vertrauen, das ich zu dem Menschen dort habe, eine Entscheidung zu finden, wie ich damit weitergehen will.
Die kann auch grottenfalsch sein, wie jede unternehmerische Entscheidung, aber sie wird in den meisten Fällen - das ist meine Lebenserfahrung - in den meisten Fällen wird sie richtig sein. Wenn ich den Kunden kenne, wenn ich mit ihm rede, werde ich in den allermeisten Fällen richtige Entscheidungen treffen, wie es weitergehen soll.
Florian Kappert:
Das bedeutet am Ende - da sprechen Sie etwas ganz Wichtiges an - Automatisierung, künstliche Intelligenz ist in aller Munde, und Sie haben jetzt eigentlich etwas angesprochen, was mir ganz besonders wichtig ist. Da würde mich auch interessieren, wie Sie das sehen, nämlich die Komponente Mensch.
Gerade in Zeiten wie jetzt zeigt es sich doch, dass wenn wir miteinander kommunizieren müssen, dann müssen wir die abgewogene Entscheidungen treffen. Da kommt nicht zuletzt auch ein Stück weit die Erfahrung, das Bauchgefühl eines Kreditsachbearbeiters, eines Credit Managers, eines Debitorenbuchhalters, wer auch immer den Prozess betreut, dann mit zum Tragen. Und ein Mensch wird am Ende die Entscheidung treffen.
Immer wenn ein Mensch natürlich eine Entscheidung trifft, dann gibt es das Risiko, dass die Entscheidung vielleicht falsch war, ja. Aber mit der Entscheidung geht auch Verantwortung einher. Da glaube ich, ist es wichtig, auch als Unternehmen den Mitarbeitern den Verantwortungsrahmen zu geben und zu sagen: "So könnt ihr euch verhalten und wir steigen euch dann auch nicht aufs Dach, wenn es schief geht, aber bitte kommuniziert."
Und die Alternative, wenn man sich so die große Software-Landschaft anschaut, schaut ja ein bisschen anders aus, nämlich wir automatisieren in Zukunft alles und die Roboter werden diese ganzen Entscheidungen, ich überspitzte jetzt ein bisschen, die ganzen Entscheidungen übernehmen.
Und dann würde eben genau das passieren, was Sie gesagt haben, nämlich der Kunde fliegt einfach raus, man sagt: "Den wollen wir nicht mehr bedienen, weil die Kennzahlen stimmen nicht."
Wie sehen Sie das Berufsbild des Credit Managers vor dem Hintergrund in den nächsten Jahren? Wächst da vielleicht so ein Debitorenbuchhalter und ein Credit Manager irgendwie zusammen und werden sie eine, durch eine Maschine unterstützte, Entscheidungsmacht, was die Kundenbeziehungen betrifft? Wie sehen Sie das?
Rudolf Keßler:
Über die Frage, wie sich das Berufsbild in diesem Fachbereich Credit Management entwickeln wird, gibt's schon lange Diskussionen. Eines möchte ich dazu sagen: Diese Begrifflichkeiten Debitorenbuchhalter oder Debitorenmanager, Forderungsmanager, Credit Manager vermischen sich auch sowieso im wahren Leben. Sie werden auch völlig unterschiedlich gebraucht in den Unternehmen, deswegen ist es auch manchmal schwierig, so die richtige Zielperson im Unternehmen zu treffen.
Aber wie auch immer dieser Titel heißt, ich bin der festen Überzeugung, und wer mich kennt, weiß, dass ich immer ein Freund von technischen Lösungen, von technischen Hilfsmitteln war, um die Prozesse, die banalen Dinge, die stattfinden müssen, die Maschine machen zu lassen. Damit die Damen und Herren, die dann wirklich mit ihrem menschlichen Kopf an der Stelle arbeiten, Zeit haben für die Kundenbewertung, für die Kundenbetreuung, für die Kundengespräche. Für alle diese wichtigen Dinge, die nach meiner Meinung, eines älteren Herrn, auch eine noch so tolle KI erstmal nicht ersetzen können wird. Weil, die KI kann vermutlich das, was ich ihr vorher programmiere oder was jemand anders ihr vorher programmiert. Was sie können könnte, ist natürlich, mir aus meinem riesigen Kundenportfolio immer dann die Kunden heute aktuell herauszufiltern, mit denen ich mich zu befassen habe. Wo die Maschine selbst erkennt, hier kann ich keine Entscheidung schwarz - weiß oder rot - grün treffen … hier ist irgendwie grau oder gelb, und dann muss ich den Menschen dazuholen.
Wenn künstliche Intelligenz dahin geht, dann geht alles einen guten Weg. Und dann wird sich das Berufsbild des Credit Managers, oder wie auch immer sonst tituliert, auf jeden Fall erhalten und auch eine andere Qualität der Funktion haben. Ganz unabhängig davon, dass nach meiner persönlichen Meinung Credit Manager im Unternehmen durch ihre Fähigkeiten, durch ihre Kenntnisse, durch ihre technische Lösung, durch ihre Kommunikationsmöglichkeiten noch ganz andere Dinge im Unternehmen unterstützen oder steuern helfen könnten.
Auch da kann es mit technischer Unterstützung passieren, dass nur die Dinge hochgetrieben werden, die wirklich entscheidungsrelevant sind, wo die Menschen schneller, besser auf fundierterer Grundlage Entscheidungen treffen mit der Chance, dass die Fehlentscheidungen oder der Entscheidung, die irgendwann dann doch schiefgehen, noch etwas weniger werden.
Florian Kappert:
Ja, das ist auch, glaube ich, zwingend erforderlich. Wir hatten ja eingangs gesagt, die Welt wird komplexer, es entstehen mehr Daten, mehr Debitoren, die Kunden kommen plötzlich nicht mehr nur aus der Umgebung, sondern kommen plötzlich auch aus der Ferne. Das heißt, ich muss viel mehr Parameter berücksichtigen, ich habe vielmehr Daten, ich habe viel mehr Informationen, die auch vielleicht schlicht nicht miteinander vergleichbar sind. Und ich glaube, die Anzahl der Personen, die das Berufsbild des Debitorenmanagers, des Credit Managers ausfüllen, wird jetzt auch nicht massiv wachsen. Also es ist ja trotzdem ein Berufsbild, was jetzt nicht auf jedem Zettel eines jungen Menschen steht.
Und da müssen wir natürlich diese gegenläufigen Bewegungen vielleicht auch im Blick behalten. Was muss denn auch eine Maschine tun, um das effizienter zu gestalten, damit in Zukunft man auch schlicht und ergreifend der größer werdenden Masse überhaupt noch Herr werden kann.
Das ist auch einen Aspekt, den man mit berücksichtigen sollte, dass die Entscheidungen entsprechend vorbereitet werden können, damit ein Mensch am Ende die Entscheidung auch wirklich treffen kann.
Credit Management Aufgaben: kleine Entscheidung - große Wirkung
Rudolf Keßler:
Ja, und das ist völlig richtig. Und was noch dazu kommt, Sie haben vorhin in einem Halbsatz angeschnitten, es muss natürlich in den Unternehmen dann eine Kultur herrschen, die es auch erlaubt, mal eine Entscheidung zu treffen, die in die Hosen geht, ohne dass dann sofort das gleiche passiert, 0-8-15 ist, wird nur nach Köpfen gerufen, die abgeschnitten werden müssen, oder es geht an Hire and Fire.
Jemand, der hilft, Chancen im Markt zu nutzen und dabei Risiken einzugehen, und das ist aus meiner Sicht die kürzestmögliche Umschreibung eines vernünftigen, guten Credit Managers, der darf nicht bei der ersten Fehlentscheidung Angst haben, dass er rausgeschmissen wird. Weil sonst wird er nämlich das Schlimmste tun, was man tun kann, nämlich keine Entscheidung treffen, was ja auch eine Entscheidung ist, und die Dinge laufen lassen und dann laufen die Dinge, wie sie laufen, dann wird nicht gemanagt, dann passiert, was passiert und deswegen … da kann man Kultur nicht mit technischen Mitteln in Unternehmen reintragen.
Aber vielleicht, das ist ein kleines bisschen Hoffnung, die bei mir auch hilft, dass die Situation dieses Jahr bei den Unternehmensleitungen, die teilweise diesem Thema etwas fern gestanden sind, noch, dass sie sich mit dem Thema mehr befassen und dass ihnen klar wird: "Leute, Credit Manager sind keine Bremser, das sind sie schon lange nicht mehr. Credit Manager sind Unterstützer des Vertriebs und helfen euch, die besseren Geschäfte zu machen."
Und wenn wir so weit kommen, dann wäre es natürlich auch sehr gut, wenn die Kommunikationsmöglichkeiten im Unternehmen vernünftig technisch unterstützt werden. Also E-Mail hin und her schreiben, ist ja lieb und nett, aber das ist mir eigentlich schon wieder viel zu viel Arbeit, die da zu tun ist. Immer wenn ich selber quasi das Ding auspacken und an die Tastatur gehen muss, geht viel zu viel Zeit verloren. Also wenn wir hier noch technische Lösungen kriegen, die diese Kommunikation zwischen den Vertriebseinheiten, der Geschäftsleitung, den Innenbereich, ich formulier es mal so, unterstützen, dann werden wir einen großen Schritt weiterkommen.
Und da wird sich auch die Kultur peu à peu verändern. Es gibt sicherlich heute noch Unternehmer, die sagen: "Okay, ich verlier ab und zu ein bisschen Geld, aber es ist mir Wurst, ich verdiene genug." Oder: "Mir geht's gut, wieso soll ich Prozesse ändern?"
Und da wird halt übersehen, dass, auch wenn es einem gut geht, vielleicht latent irgendwo Fehlerquellen sind oder Kostenfaktoren sind, die man abschneiden könnte. Also es gibt eine Menge Möglichkeiten.
Florian Kappert:
Am Ende ist die Produktmarge, die Gewinnmarge betroffen, wenn einem Forderungen ausfallen, und das tut halt am Ende richtig weh.
Wir sehen noch eine zweite Bewegung auch zum Thema Berufsbild. Wir haben relativ oft mit den großen Beratungs- und Wirtschaftsprüfungshäusern zu tun und wir sehen da tatsächlich einen Trend zum Self-Service. Also die Fachabteilungen werden ein Stück weit reduziert oder abgeschafft und die Mitarbeiter, also nehmen wir mal einen Vertriebsmitarbeiter, wird selber die Funktion des Credit Managers übertragen und sagen: "Du bist jetzt dafür verantwortlich. Du musst selber selektieren, du musst das Risiko selber einschätzen, du bist auch dafür verantwortlich, dass am Schluss das Geld reinkommt."
Super große Herausforderung, die wir da sehen, weil wenn man plötzlich nicht mehr 20 Credit Manager hat, sondern plötzlich 5000 Berater, die mit dieser Teilzeit-Funktion ausgestattet worden sind, ohne eine große Schulung, ohne eine Kultur, wie Sie es gesagt haben, und wahrscheinlich sogar noch mit der gegenläufigen Kultur, nämlich dass von oben Druck ausgeübt wird, dass diese Forderungen eingetrieben werden, wie auch immer der Druck aussieht, dann wird natürlich irgendwie der Bedarf nach einer digitalen Lösung noch größer. Weil, ich habe es plötzlich mit so vielen Menschen zu tun, die eigentlich die Funktion des Credit Managers ausüben, die da aber noch nie etwas darüber gehört haben und ein Stück weit eine Ablehnung gegen das Thema haben und sagen: "Warum soll ich jetzt eigentlich diesen, Entschuldigung, Drecksjob machen und jetzt hier beim Kunden anrufen und da als Bittsteller auftreten, damit die Rechnungen bezahlt werden? Das ist doch Aufgabe der Buchhaltung."
Das Resultat sind riesige Offene-Posten-Stände, weil sich keiner mehr drum kümmert.
Rudolf Keßler:
Ja, es wird in der Regel so sein, dass der Erfolg kleiner sein wird, als wenn wirklich Spezialisten an dem Thema arbeiten.
Ich hätte mir auch, nachdem ich mal irgendwann in diesem Bereich gewechselt bin und mich voll mit dem Thema Credit Management identifiziert habe, auch nicht mehr versucht, dem Kunden irgendein Produkt unseres Hauses verkaufen zu wollen. Das hätte ich vielleicht geschafft, wenn der Kunde ganz besonders scharf auf irgendwas wäre und es unbedingt haben will. Kann ich vielleicht auch einfach über die elektronische Versorgung das Produkt finden und ihm eine Rechnung schreiben und das Ding ausliefern lassen.
Aber verkaufen ist ja etwas anderes. Verkaufen heißt aus meiner Sicht: Ich muss Ihnen, Herr Kappert, jetzt etwas verkaufen, von dem Sie vorhin noch gar nicht wussten, dass Sie es wollen.
Florian Kappert:
Ja, richtig.
Rudolf Keßler:
Das wäre provokativ, was ein Verkäufer tun muss. Und das sind einfach andere Anforderung an die Menschen, an die Fähigkeiten, an die Kenntnisse, als das, was ein Credit Manager tun muss.
Beide müssen kommunizieren, keine Frage, beide müssen mit den Kunden reden und müssen reden können, weil sonst wird es nichts werden. Dennoch gibt es auf dem Markt das ein oder andere erfolgreiche Beispiel, dass Kreditmanagement nicht über den, aber mit Hilfe des Vertriebes gut funktionieren kann. Allerdings ist es eine Frage der Prozesse und der Prozesssteuerung, über das Credit Management, das zentral angesiedelt ist.
Ich glaube, mal wieder aus der Schule, aus der Vergangenheit, schon in den 70er Jahren hat man versucht, natürlich Kosten zu sparen, und wenn der Verkäufer sowieso zum Kunden geht, kann er auch gleich mal nach dem Geld fragen. Also aus der Schule geplaudert heißt, wir haben dann den Verkäufern Kärtchen mitgegeben, auf denen stand: "Wenn du zum Josef Müller gehst, der hat noch 10.000 Mark offen stehen, bring dann mal bisschen Geld mit." Die klassische Folge war, dass der Verkäufer zurückgekommen ist und gesagt hat: "Also Geld habe ich keines, aber einen neuen Auftrag."
Ist ja auch nicht schlecht, der neue Auftrag, nur er löst das Problem nicht wirklich. Also ich will damit sagen: Natürlich sind auch Verkäufer nicht alle geklont und jeder ist gleich wie der andere. Es gibt unterschiedliche, es gibt welche, die können erfolgreich mit Kunden auch über Geld reden.
Die meisten wollen es aber nicht tun, weil sie sich damit schwer tun, dem Kunden, dem sie vielleicht vorher auch ein teures Produkt verkauft haben, dass er jetzt nicht zahlen kann, und dann sagen soll: "Und jetzt musst du Geld bringen oder ich hol mir das Ding wieder zurück."
Solche Geschichten, das passt einfach nicht zusammen. Und wenn die Damen und Herren im Vertrieb mal gelernt haben, dass die Credit Manager den Kunden nicht vergraulen, sondern dass sie mit dem Kunden ein Gespräch so führen, dass er einerseits seine Rechnungen wohl bezahlt, wie auch immer, aber andererseits immer noch Kunde bleibt und wieder einkauft, dann werden sie auch selber den Willen gar nicht mehr haben, diesen Job selber zu übernehmen.
Also das ist auch so ein bisschen aus meiner Erfahrung und auch im Hinblick auf die Zukunft. Ich sehe keine große Möglichkeit, da jetzt öfter auf der Verwaltungsseite sozusagen Kosten zu sparen und dann dem Vertrieb da was aufzudrücken, abgesehen davon, dass viel administrative Tätigkeit, die damit irgendwo verbunden ist, dem klassischen Vertriebler ohnehin nicht gefällt, dass die allermeisten, bin ich mal bösartig, den ich schon zu viel Arbeit, wenn Sie früher Reisespesen-Formulare ausfüllen müssen für den gestrigen Tag.
Also das heißt, alles, was nicht Verkauf ist, stört sie eigentlich, und da sollte man sie auch nicht stören, sondern man sollte verkaufen lassen.
Florian Kappert:
Richtig. Also ich denke auch, dass das zu Problemen führt, weil es am Ende einen Interessenkonflikt gibt für den Vertrieb. Der Vertrieb hat einfach an der Stelle, glaube ich, die Sorge, vielleicht auch zurecht, da die Kundenbeziehung, die er braucht, um weiterhin Produkte oder Leistungen zu verkaufen, zu beschädigen. Und es gibt ja vielleicht einen guten Grund, warum der Kunde die offenen Posten nicht begleicht. Vielleicht gibt es irgendwo einen Sachmangel, und da kann der Vertrieb vielleicht gar nichts dazu und er möchte sich da gar nicht so zwischen den Stühlen aufreiben lassen.
Und da sehe ich schon auch einfach gute Gründe, da einen Vermittler mit Sachverstand und Feingefühl und den richtigen Informationen mit einzuschleusen und das an dieser Stelle klären zu lassen.
Mit einem ganz kleinen Blick auf die Uhr, wir wollen ja nicht in die Unendlichkeit reden, aber ich glaube wir hätten die Möglichkeiten dazu, würde mich eine Sache noch interessieren: Haben Sie den Eindruck, dass Unternehmen jetzt etwas nacharbeiten müssen? Also es ist jetzt was passiert, alle haben sich erschrocken, jetzt ändert sich gerade was. Haben Sie den Eindruck, dass die Unternehmen etwas versäumt haben und jetzt etwas aufholen müssen? Wie schätzen Sie die Lage ein?
Rudolf Keßler:
Also das ist genauso differenziert zu beantworten, wie die eine oder andere Frage vorher. Natürlich gibt es Unternehmen, die aus Sicht des guten Credit Managements ihre Hausaufgaben bislang noch nicht so gut gemacht hatten und jetzt plötzlich merken: "Okay, jetzt fehlt mir wirklich Geld, mir fehlt die eigene Liquidität, ich bekomme vielleicht auch weniger Aufträge. Ich muss jetzt unbedingt Geld reinbekommen, weil sonst gehe ich selber in die Insolvenz, wenn das ganze Drama rum ist."
Die werden sicher nacharbeiten müssen, werden es auch tun, also die Guten jedenfalls. Die weniger Guten werden dann doch den Gang zum Insolvenzrichter gehen irgendwann.
Und die Unternehmen, die ohnehin schon gut gearbeitet haben, arbeiten auch jetzt gut. Die hatten die gleiche Herausforderung, die wir vorhin schon mal angeschnitten haben, nämlich völlig überraschende Anforderungen, weil plötzlich ganze Kundenbranchen im Risiko stehen und nicht nur einzelne Kunden. Aber die haben natürlich dann auch entsprechend reagieren können und ganz viel, das haben wir beim BvCM erfahren, in unseren monatlichen Umfragen, die wir gemacht haben, ganz viel ist wirklich gelöst worden über das Thema: Ich rede mit dem Kunden, ich kläre seine Situation, ich versuche das mit unser Sitution in Einklang zu bringen. Und in ganz wenigen Fällen sind Verschärfungen eingeführt worden. In den meisten Fällen sind mit den Kunden Lösung gefunden worden, um diese Zeit zu überbrücken.
Das geht natürlich nicht unendlich. Weil, wie mehrfach erwähnt, meine eigene Liquidität ist letztlich der Schlüssel zu allem, und wenn die nicht mehr passt, dann gehe ich selber pleite und brauche keine Kunden mehr.
Also insofern muss man da sicher aufpassen, aber genau das ist bei den Unternehmen gut gelungen. Und die anderen, die werden ihre Hausaufgaben machen, und mir geht's wie gesagt darum, wenn sie diese nicht machen, werden sie es spüren. So wie es immer abläuft im Markt.
Florian Kappert:
Okay ja, so würde ich es auch zusammenfassen. Ich finde die Situation sorgt für eine große Herausforderung. Es ist Druck entstanden, sich zu verändern. Es ist der Druck entstanden, sich die eigenen Prozesse anzuschauen. Es ist für viele Leute der Druck entstanden, sich überhaupt mit dem Thema Risiko auseinanderzusetzen. Und das ist am Ende auch eine große Chance, weil in dem Bereich, und wir reden ja jetzt im Großen und Ganzen über den Ausgangsrechnungsteil, dem Offenen-Posten-Teil, dem Forderunsteil, im Working Capital trägt es natürlich auch irgendwie zur Gesundheit der Unternehmen bei und das ist total sinnvoll, dass sich die Unternehmen damit befassen, egal welcher Größe, und ich glaube, das passiert.
Das ist am Ende der Grund, warum wir diesen Podcast auch machen. Wir haben uns dazu entschieden, mit den Branchenkennern und den Fachexperten das Wissen zu teilen und darüber zu sprechen, um Unternehmen zu helfen, ein bisschen über den Tellerrand zu blicken und Vergleichbarkeit zu bekommen und um ein Gefühl dafür zu bekommen: Wo stehen sie? Wo gibt's vielleicht Nachbesserungsbedarf? Und wo gibt es digitale Lösungen, die dabei helfen können?
Und so würde ich das gerne für heute abschließen. Herr Keßler, es hat mich wahnsinnig gefreut, dass Sie dabei waren.
Rudolf Keßler:
Sehr gerne!
Florian Kappert:
Ich bin mir sicher, dass wir die Chance finden, einmal eine Folge-Episode gemeinsamen aufzuzeichnen. Ich glaube, wir haben noch unendlich viele Themen.
Rudolf Keßler:
Stimmt!
Florian Kappert:
An der Stelle sage ich herzlichen Dank und ja, wie man heute sagt, bleiben Sie gesund.
Rudolf Keßler:
Ja, vielen Dank auch Ihnen, Herr Kappert, für das aus meiner Sicht auch sehr interessante Gespräch. Und der Wunsch geht zurück, weil wenn wir alle gesund bleiben, haben wir auch eine Chance, die Dinge anzupacken, und das wollen wir ja alle. Wir sind ja alle von der Kategorie "Let’s manage".
Florian Kappert:
So ist es, herzlichen Dank!
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