Thomas Bravo ist Leiter des Finanz- und Rechnungswesens der I. K. Hofmann GmbH in Sankt Florian, Österreich, Experte für Credit-Management-Prozesse und Mitglied des Vorstands des Bundesverbands Credit Management Österreich (BvCM AT).

In einer Artikelserie, erschienen im BÖB Journal (Bundesverband der österreichischen Bilanzbuchhalter), widmet er sich den verschiedenen Facetten der Credit-Management-Prozesse - und stößt dabei zwangsläufig auch auf die üblichen Grabenkämpfe zwischen Buchhaltung und Vertrieb. 

Und deckt auf, wie wichtig es eigentlich ist, dass beide Abteilungen eng zusammenarbeiten. Denn Grabenkämpfe beeinflussten ein Unternehmen insgesamt negativ: sie hemmen Prozesse und verderben das Klima.

Grund genug für uns, das Gespräch mit Thomas Bravo zu suchen und Einblicke in seinen umfangreichen Erfahrungsschatz zu gewinnen.


Herausforderungen der Credit-Management-Prozesse

Christopher Stützel:

Herr Bravo, ich freue mich sehr, Sie für dieses Interview gewonnen zu haben. 

Im dritten Teil Ihrer Artikelserie gehen Sie auf Herausforderungen und Spannungsfelder im Credit Management ein, genau genommen auf die Reibungspunkte und Konflikte, die üblicherweise zwischen Buchhaltung und Vertrieb entstehen. Wie kommen diese Konflikte zustande?


Thomas Bravo:

Vielen Dank, Herr Stützel, für die Einladung und der Möglichkeit, mit Ihnen über die Herausforderungen von guten Credit-Management-Prozessen zu sprechen.

Der Aussage "Grabenkämpfe hemmen das Unternehmenswachstum" kann ich einiges abgewinnen, möchte aber dazu anmerken, dass es gar nicht so weit kommen muss.

Ich behaupte einmal ganz salopp, wo Menschen zusammenarbeiten, entstehen zwangsläufig Reibungspunkte. Man ist nicht jeden Tag gleich gut gelaunt, es macht sicher auch nicht jede Tätigkeit im Job gleich viel Spaß. Man versteht sich auch vermutlich nicht mit jedem Arbeitskollegen gleich gut und derzeit verschärft die Corona-Pandemie noch zusätzlich die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit.

Das sind alles Punkte, welche mich als Person in meinem persönlichen Befinden negativ beeinflussen können. Kommt dann noch zusätzlich fehlendes gegenseitiges Verständnis für andere Arbeitsbereiche hinzu und wird dann noch zu wenig kommuniziert, können nachhaltige Konflikte bis hin zu Grabenkämpfen entstehen.

Und das betrifft nicht nur Konflikte zwischen Buchhaltung und Vertrieb, sondern kann meines Erachtens genauso auf andere Unternehmensbereiche umgelegt werden.


Christopher Stützel:

Was können Unternehmen konkret tun, um genau diese Punkte Kommunikation und gegenseitiges Verständnis intern zu verbessern? 


Thomas Bravo:

Gerade der Aufbau von gegenseitigem Verständnis kann einige Zeit beanspruchen. Ich habe hier bei meinem Start im Unternehmen gleich die ersten Wochen genutzt, die bestehenden Forderungsmanagementabläufe und Credit-Management-Prozesse zu evaluieren, danach gemeinsam mit dem Team Prozessänderungen vorgenommen, diese dann kommuniziert und den Dialog mit den Vertriebseinheiten gesucht.

Aufgrund vieler Gespräche mit Führungskräften und Mitarbeitern aller Unternehmensbereiche, regelmäßigen internen Schulungen – jeder Mitarbeiter erhält eine Grundunterweisung des unternehmensinternen Credit- und Forderungsmanagements – konnte das gesamte Team für die Thematik ausreichend sensibilisiert und schlussendlich auch "abgeholt" werden. Die Anpassungsmaßnahmen wurden rasch umgesetzt und führten auch zum Erfolg.

Nicht selten fehlt einfach das Verständnis, dass Credit-Management-Prozesse von vielen Unternehmensbereichen umgesetzt werden müssen, nicht nur vom Rechnungswesen, oder es fehlt auch die Sensibilisierung zur Thematik an sich.


Christopher Stützel:

Unternehmen sollten also an ihrer internen Kommunikation arbeiten und so das Verständnis füreinander fördern, um Konflikte zu vermeiden. Das klingt jetzt fast schon zu einfach.


Thomas Bravo:

Konflikte sind nicht nur auf mangelndes Verständnis oder Kommunikation zurückzuführen, sondern entstehen oft durch unterschiedliche Zielsetzungen. Der Vertrieb verfolgt das Ziel der Marktführerschaft bzw. des Wachstums und das Credit Management das Ziel der Liquiditäts- bzw. Existenzsicherung.

Natürlich treffen dann bei diesen unterschiedlichen Personengruppen auch unterschiedliche Mentalitäten/Charaktere aufeinander. Der Vertriebsmitarbeiter improvisiert, ist offensiv und chancenorientiert, demgegenüber arbeiten viele Mitarbeiter im Rechnungswesen eher nach geregelten Abläufen, sind defensiv und bestandsorientiert ausgerichtet.

Unterschiedliche Perspektiven führen nicht selten zu Friktionen. Vertriebsmitarbeiter sehen Credit Manager als "Erbsenzähler", als Umsatzbremse, welche im Kundenkontakt unsensibel sind (z.B. bei Faktura, Mahnwesen, Inkasso) und Kundenbeziehungen zerstören. Umgekehrt sehen Credit Manager oft Vertriebsmitarbeiter als unorganisierte Chaoten, welche gegen das Risikomanagement arbeiten und auf Biegen und Brechen ein jedes Geschäft an Land ziehen möchten, trotz miserabler Bonität des Kunden und erhöhtem Zahlungsausfallrisikos.

Aber auch hier kann gute Kommunikation Vorurteile abbauen und zu einem besseren Miteinander beitragen. Vertrieb und Finanzbereich sitzen im selben Boot, nur wird nicht immer in dieselbe Richtung gerudert.

 

Konfliktpotenzial: Credit Management und Vertrieb

Christopher Stützel:

Vielleicht können wir darauf noch genauer eingehen: Inwiefern sind Vertrieb und Buchhaltung aufeinander angewiesen? 


Thomas Bravo:

Ich möchte jetzt nicht zu "betriebswirtschaftlich" oder zu "technisch" werden, außerdem möchte ich nur ein paar einzelne Punkte herausgreifen. Aber betrachten wir kurz das Thema Existenzsicherung eines Unternehmens und die daraus abgeleiteten operativen Maßnahmen dazu.

In der operativen Planung unterteile ich grob in die Bereiche Erfolg und Liquidität.

Trigger für den Erfolg sind unter anderem die Komponenten Ertrag und Aufwand. Beide werden sowohl von Vertrieb als auch von Credit Management bedient. Über den Umsatz des Vertriebs wird Ertrag generiert und über die vernünftige Gestaltung von Limits und Zahlungszielen der Aufwand durch das Credit Management reduziert.

Vernünftige Zahlungsziele generieren im besten Fall ausreichend Liquidität und reduzieren so Aufwand für z.B. kurzfristige Bankfinanzierungen (Sollzinsen, Rahmenbereitstellungsgebühren u.v.m.) und ein vernünftiges Mahnwesen bzw. eine vernünftige Limitdefinition reduziert das Volumen von Forderungsausfällen und somit auch wieder Aufwand und negative Auswirkungen auf den Erfolg.

Trigger für die Liquidität sind die Komponenten Einnahmen und Ausgaben. Auch hier gelten dieselben eben genannten Punkte. Die Einnahmen werden auch wieder von beiden Seiten gesichert. Über den Umsatz sollten Einnahmen generiert werden, jedoch wird aus den Forderungen erst mit Bezahlung schlussendlich eine Einnahme. Hier kommt dann Credit Management wieder mit dem Management der Forderungen ins Spiel (z.B. durch das Mahnwesen).

Man sieht alleine am Beispiel Existenzsicherung, wie beide Arbeitsbereiche "ineinander verzahnt sind". Es sollte vielmehr in Systemzusammenhängen gedacht werden. Jede Entscheidung oder Maßnahme hat mittelbar oder unmittelbar Auswirkung auf andere Unternehmensbereiche. Ressortegoismus ist hier fehl am Platz.

Wie bereits mehrfach erwähnt, erleichtert eine gute Kommunikation vieles und fördert die Zusammenarbeit. Schlussendlich möchten alle Mitarbeiter in einem erfolgreichen und finanziell stabilen Unternehmen arbeiten, somit ist eindeutig ein gemeinsames Ziel vorhanden. Dieses kann jedoch aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeiten nur gemeinsam erreicht werden.


Christopher Stützel:

Was sind Ihrer Erfahrung nach die Folgen der Abstimmungsprobleme?


Thomas Bravo:

Die Folgen sind mannigfaltig. Steigende Kosten der Credit-Management-Prozesse und Ressourcenverschwendung sind sicherlich die häufigsten Folgen, wobei man diese oft nicht auf den ersten Blick so eindeutig wahrnimmt. 

Der zeitliche Mehraufwand durch Prozessstörungen spiegelt sich sehr schön in den Personalkosten wider und ist sofort erkennbar, jedoch das in Forderungen gebundene Kapital, die Verhinderung der Freisetzung von liquiden Mitteln, kann unter Umständen eigene Kreditlinien bei der Hausbank über Gebühr belasten und enorme Finanzierungskosten auslösen, bis hin zur eigenen Insolvenz aufgrund Zahlungsunfähigkeit führen.

Natürlich belasten Zahlungsstörungen auch das Arbeitsklima, weil der Credit Manager bereits den Zahlungsausfall befürchtet und der Vertriebsmitarbeiter noch weiter den Kunden beliefern möchte.

Und ein nicht ganz unwesentlicher Punkt ist der Zeitverlust im Hinblick auf Anfechtungsfristen bei Kundeninsolvenz. Umso schneller die Kundenzahlung einlangt, desto geringer ist die Gefahr einer Anfechtung, da der Zahlungszeitpunkt weiter zurückliegt.

Credit Management Prozesse und Vertrieb sitzen im selben Boot
Zusammen stark für ein höheres Ziel: Credit Management und Vertrieb

Christopher Stützel:

Wie problematisch sehen Sie es, eine verbesserte interne Abstimmung bei Zahlungsstörung herbeizuführen? 

 

Verbesserte interne Abstimmung

Thomas Bravo:

Wenn ausreichend Sensibilisierung für die Thematik Credit Management in Unternehmen vorhanden ist, muss man die Dinge anpacken. Selbstverständlich kosten solche Change-Management-Prozesse Zeit und es lässt sich nicht direkt damit Geld verdienen, darum sind sie häufig auch etwas unpopulär. 

Natürlich fragt man sich als Vertriebsmitarbeiter, wenn man plötzlich verstärkt in Order-to-Cash-Prozesse eingebunden wird, warum ich jetzt neben meiner "Verkaufstätigkeit" noch andere Dinge erledigen muss, die auf den ersten Blick nur administrativ sind und kein Geld einbringen.

Aber auch das Rechnungswesen muss daran denken, dass die Denkweise über die Grenze von Soll und Haben hinausgehen sollte, denn Vertriebsmitarbeiter, speziell im Außendienst, können durch eigene positive wie negative Beobachtungen die hausinternen Ratings ihrer Kunden und somit die Zahlungsziele beeinflussen, indem sie diese Infos weitergeben. Außendienstmitarbeiter sind viel näher am Kunden und leisten wichtige Beziehungsarbeit.

Hier wären wir dann wieder eindeutig beim Verständnis für Systemzusammenhänge.


Christopher Stützel:

Jetzt kommen Sie ja auch aus dem Vertrieb. Gute Credit-Management-Prozesse sollen Umsatz ermöglichen, diesen nicht verhindern. Wie relevant sehen Sie in Zukunft die aus dem Finanzbereich gebildeten Informationen auch für die Vertriebskollegen?


Thomas Bravo:

Das ist korrekt, ich kenne beide Seiten, da ich vor meinem Wechsel in den Finanzbereich im Vertrieb tätig war. Diese Erfahrung hilft mir ungemein, ich kenne die Denkweise und die operativen Prozesse beider "Lager", dies ist ein absoluter Vorteil in der Kommunikation. 

Gerade Transparenz und die Weitergabe von Information aus dem Finanzbereich sind absolut relevant. Vertriebsmitarbeiter sollten Zugang auf gewisse interne Finanzdaten haben, um einerseits Verständnis für die Umsetzung von Credit Management Maßnahmen aufbringen zu können und andererseits auch ihre Kunden aus der Perspektive des Finanzbereichs kennenzulernen. Wie ist z.B. die Zahlungsmoral? Oder ähnliche Punkte. Geheimniskrämerei bzw. zurückbehalten von relevanten Daten bringen uns keinen Schritt weiter.

Häufig hören Vertriebsmitarbeiter von ihren Kunden, dass eh immer alles fristgerecht bezahlt wird, die Realität sieht dann nicht selten anders aus, nämlich Zahlungsverzug. Das Credit Management sperrt den Kunden oder vergibt kürzere Zahlungsziele und der Vertriebsmitarbeiter steht mittendrinnen und fühlt sich aufgrund mangelnder Informationen oft falsch verstanden bzw. kann die Maßnahmen der Credit-Management-Prozesse nicht nachvollziehen. 

Hätte der Vertriebsmitarbeiter dieselbe Information in "Real-Time" wie das Rechnungswesen, könnte dieser gleich direkt beim Kundengespräch zeitnahe Probleme ansprechen, bevor es überhaupt zur Sperre kommt. Z.B. mit einer tagesaktuellen OP-Liste, die er sich vor dem Kundentermin noch ansieht, quasi auch als Gesprächsvorbereitung.

Digitalisierung unterstützt hier, schafft Transparenz und erleichtert auch den Umgang mit Finanzdaten (z.B. bei OP-Listen) bzw. macht diese benutzerorientiert zugänglich. Über Berechtigungssysteme lässt sich zielgenau steuern, wer Zugriff auf welche Daten hat. Es darf nicht jeder auf alles Zugriff haben.


Christopher Stützel:

Sollte der Vertrieb also in Zukunft sensibler mit dem Thema Risiko umgehen?


Thomas Bravo:

Meine Überzeugung ist, dass wir von dieser klassischen Abteilungsdenke Abstand nehmen sollten und diese Frage geht meiner Meinung nach in die Richtung Abteilungsdenke.

Herr Stützel, was halten Sie davon, wenn wir die Frage umformulieren auf "Sollten alle Mitarbeiter eines Unternehmens ein gewisses Maß an Risikoverständnis mitbringen?"

Diese Frage kann ich eindeutig mit JA beantworten.

Wenn ich aber sage, dass der Vertrieb zukünftig sensibler mit dem Thema Risiko umgehen sollte, sage ich automatisch, dass er jetzt nicht sensibel genug damit umgeht. Diese Pauschalierung ist nicht treffend und würde auch einer "Verurteilung" eines "Vorwurfs" gleichkommen.

Umgekehrt könnte man ja dann auch wieder fragen, sollte das Credit Management zukünftig sensibler mit den Kunden umgehen oder weniger strikt in der Definition von Limits sein?

Sie sehen, mit der ursprünglichen Fragestellung graben wir weiter an unseren Gräben.


Christopher Stützel:

Vielen Dank, Herr Bravo, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben!